Ehrlich gesagt: bis vor einer Woche hat mich Windows Phone 7 nur peripher interessiert. Nein, eigentlich gar nicht. Man wusste ja lange nichts darüber, was in Redmond so gebaut wird - Informationen waren nur sehr spärlich zu bekommen. Und auch als sich das Anfang dieses Jahres änderte war schnell klar, dass das neue Mobile-Betriebssystem von Microsoft es schwer haben würde: kein Flash, kein Silverlight, kein Multitasking, kein Copy & Paste.
Vergangene Woche änderte sich meine Meinung, als ich eine Präsentation zum Thema sah. Auf der einen Seite war ich nun angefixt und aus Benutzersicht neugierig, auf der anderen ist ja nunmal das enorme Potential aus geschäftlicher Sicht nicht zu leugnen. Die Arbeit mit .NET gehört für mich zum Brot- und Butter-Geschäft: würde sich Windows Phone am Markt etablieren, wäre der Weg zur ersten eigenen App kurz und die Rente sicher ,-).
Nachdem im stationären Handel vorgestern keine Geräte verfügbar waren, bestellte ich das HTC 7 Trophy kurzerhand online bei Vodafail (es ist das günstigste momentan erhältliche Gerät - für 460 EUR), was dann auch heute geliefert wurde.
Nachfolgend nun ein kleines Review, was natürlich meine eigene subjektive Meinung widerspiegelt und keinen Anspruch auf Objektivität erhebt.
Hardware
Neben dem iPhone 4 sieht das HTC 7 Trophy schon recht klobig aus - hat man das iPhone aber nicht zum direkten Vergleich daneben liegen, kann es durchaus gefallen. Die Verarbeitung wirkt wertig, der gummierte Rücken angenehm, lediglich die scharfen Kanten auf der Vorderseite irritieren anfangs etwas. Das Display ist mit seiner Auflösung von 800x480 Pixeln dem des iPhone natürlich klar unterlegen, allerdings sieht man es im direkten Vergleich nicht wirklich (hielte man ein Palm Pre daneben, wäre es schon deutlicher).
Positiv: der Akku lässt sich austauschen. Eine Freiheit, die man bei Apple-Produkten ja nun Jahr für Jahr weniger zugestanden bekommt. Übrigens hat das am Anfang für Irritationen gesorgt, als das Ding nicht anspringen wollte - ich musste natürlich noch die Folie vom Akku entfernen ;-).
Kurzum: an sich für das Geld ein gelungenes Gerät, was mir ganz gut gefällt. Viel mehr auf die Hardware möchte ich in dem Fall auch gar nicht eingehen, da es hier ja im Gegensatz zu Apple genügend Auswahlmöglichkeiten gibt und noch mehr geben wird - da kann sich jeder nach Geschmack und Geldbeutel aussuchen, was er mag.
Ach ja, kurzer Nachtrag: nach ein paar Stunden Nutzung funktionierte plötzlich der Home-Button nicht mehr. Bzw. nur noch, wenn ich genau daneben tippte .-). Ein Neustart behob das Verhalten.
Ersteindruck
Was man als allererstes zu sehen bekommt, ist ein Konfigurations-Wizard, der in seiner Anmutung sehr an Windows Mobile erinnert und Schlimmes befürchten lässt. Doch es folgt schon gleich die erste positive Überraschung, wenn es darum geht Datum und Zeit einzustellen. Die Art, wie die Auswahllisten realisiert wurden, gefällt. Was irritiert ist die Möglichkeit ein Windows-Live-Konto anzulegen, obwohl ich weder eine Sim-Karte drin hatte noch per W-Lan verbunden war.
Was folgt ist die Begrüßung durch die neuen Kacheln im Vodafone-Rot. Egal wohin man klickt, alles wirkt sehr schnellgängig und schön animiert.
Deshalb mein persönlicher Ersteindruck: Wow! Endlich mal ein neues Interface, gegen welches die 0815-Standard-Icon-Optik des iPhone nicht anstinken kann. Aber jetzt in die Details ...
Geschwindigkeit
Ich bin ja nun leidgeprüfter Nutzer eines iPhone 3G gewesen und kann beurteilen, wenn etwas schnell oder langsam ist. Eines ist sicher: dieses Gerät ist schnell, sehr schnell. Alle Effekte flutschen wirklich gut, das Scrollen klappt prima. Nur der Start einiger Third-Party-Apps ist etwas zäh und das Laden der Daten von Außerhalb ist recht langsam (Marketplace, Zune, Twitter, Facebook).
W-LAN-Konfiguration
Es sind leider nur Verbindungen zu Netzwerken möglich, die ihre ID broadcasten. Wenn man das abgeschaltet hat, gibt es keine Möglichkeit sich beim eigenen Netz anzumelden. Wenn man diese Hürde nicht hat oder sie übersprungen hat, sollte man das Passwort möglichst genau eintippen. Denn vertippt man sich, darf man komplett von vorne anfangen. Aus Sicht des Admins und Sicherheitschefs vielleicht ganz klug, da man so Trial&Error-Attacken vermeiden kann. Aus Nutzersicht nur nervig. Und mal ehrlich, wer versucht per Smartphone ein Netzwerk zu "hacken"? ;-)
Server-Konfiguration
Positiv: an mehreren Exchange-Konten stört sich Windows Phone nicht. Auch das Einrichten meiner IMAP-Accounts lief reibungslos. Aber ...
Ich besitze wasweißichwieviele Windows-Live-Accounts, zwei davon wollte ich einrichten. Eines, welches ich mit meinem Xbox-Live-Konto verknüpft habe, eines, über welches ich meine privaten Termine und Kontakte synchronisiere. Leider habe ich das Letztere zuerst eingerichtet und anschließend die Xbox-App aufgerufen. Fortan war die Xbox-App nun mit diesem Konto verknüpft, was ich natürlich nicht wollte - da mein Gamertag mit dem anderen Konto verbunden war.
Das Problem: ich konnte das nicht rückgängig machen. Und als ob das noch nicht genug wäre, ließ sich nun dieses eine einzige Windows-Live-Konto auch nicht löschen. Ich habe wirklich alles probiert und am Ende sogar das Gerät zurückgesetzt.
Anschließend habe ich die Accounts wieder angelegt - dieses Mal in umgekehrter Reihenfolge, womit zumindest die Koppelung mit X-Box-Live klappte. Aber löschen konnte ich das besagte Konto immer noch nicht. Evtl. lag es daran, dass die Synchronisation nicht klappt (ist eine GMX-Adresse), aber wie auch immer: es ist ein haarsträubender Bug, der ziemlich frustriert hat. Gnade Otto Normal, wenn ihm das passiert.
Kalender
Die Kalender-App verträgt sich wie gesagt bestens mit mehreren Quellen. Die Darstellung ist ungewohnt, in der Tages- oder Agenda-Ansicht aber durchaus schick anzuschauen. Völlig unbrauchbar erscheint mir die Monatsansicht. Die einzelnen Termine sehen aus wie Fliegenschiss - ein Punkt oder eine sonstige Markierung für Tage mit Terminen, wie bei iOS, hätte der Sache besser gestanden. Zumal man bei jedem Klick wieder in der Tagesansicht landet.
E-Mail
Mehrere Mail-Accounts sind natürlich auch kein Problem, ich nutze drei dergleichen. Nur habe ich keine Mail-App gefunden. Dafür hat jeder Account automatisch eine Kachel auf meinem Startscreen bekommen. Es gibt also drei Zugänge - für jeden Account einen. Muss ich erwähnen, dass ich das absolut unglücklich gelöst finde?
Die Optik der Posteingänge ist durchaus ansprechend, aber wie an so vielen Stellen in Windows Phone: Optik ist nicht alles. Die Benutzerführung ist nicht sofort selbsterklärend und in IMAP-Postfächern werden bereits anderswo als gelöscht markierte Mails trotzdem angezeigt.
Da lobe ich mir wirklich die Mail-App von iOS, die ich bis dato als eher beschränkt empfunden habe. Aber hier kann ich problemlos auch in Unterordner navigieren ohne mich zu verirren und ich habe alle Konten auf einen Blick.
Browser
Tja. Was soll ich sagen ... vor ein paar Tagen gab es noch eine bisweilen hämische Diskussion darum, ob nun IE6 oder eine Mischung aus IE7 und IE8 drunter steckt. Was auch immer es jetzt nun genau ist, es ist sowohl aus User- als auch aus Webentwickler-Sicht nur eines: unglücklich.
Was der IE zum Teil rendert, ist eine Katastrophe. Hier zwei Screenshots von definitiv für alle bisher gänigen mobilen Devices optimierten Sites, einmal Spiegel Online und einmal Twitter.
Ich frage mich: was soll das? Warum kocht man in Redmond wieder sein eigenes Süppchen, und warum verschaukelt man den Kunden, in dem man ihm etwas von "größtenteils guten Rendering-Ergebnissen" erzählt?
Branding
Abgesehen vom roten Farbschema der Kacheln, einer Vodavone-App und deren Logo im Bootscreen war erstmal nichts zu sehen. Spannend wurde es erst, als ich eine Adresse im Browser eintippte, die es nicht gab. Dann landete ich auf einem Vodafone-Server ... wie und wo konfigurierbar? Keine Ahnung.
Usability allgemein
Wie oben bereits geschrieben, der erste Eindruck war einfach "wow". Je länger ich das Gerät dann aber in Händen hielt, desto mehr verflüchtigte sich das. Die Kacheln sind schick, auch wenn nicht ganz einleuchtet, warum gefühlt 20% des Bildschirms rechts für einen einzigen Pfeil leer bleiben müssen. Unübersichtlich wird es dann mit zunehmender Programm-Anzahl, wozu ja auch jeder E-Mail-Account zählt.
Und ich bin mir wirklich nicht sicher, ob ich die Bilder meiner Kontakte, die sich die Kontakte-Kachel da aus allen möglichen Quellen zusammenzieht, wirklich sehen möchte. Ist ja nicht so, dass ich alle Menschen wirklich leiden kann, mit denen ich zu tun habe oder mal hatte ...
Einen Wisch nach rechts ist es dann auch schnell vorbei mit der Übersichtlichkeit. Die alphabetisch sortierte Liste aller Anwendungen ist zu Beginn ja sicher schick. Vielleicht auch für Leute wie mich noch akzeptabel. Aber ich kenne viele Leute, die sammeln Apps wie andere Payback-Punkte. Für die wird das Finden einer Anwendung wirklich zur Tortur, zumal es keine Suche gibt.
Suche
Apropos. Es gibt keine Geräte-interne Suche. Das heißt Mails, Kontakte, Apps usw. lassen sich leider nicht zentral von einem Punkt aus durchsuchen. Außerdem gibt es die Web-Suche, soweit ich das sehe, nur fest verdrahtet mit Bing. Wer in Deutschland also auch etwas finden möchte, wird wohl oder übel manuell erstmal Google aufrufen müssen.
Third-Party Apps
Positiv vorneweg: mein Gedanke, einer der ersten in einem sich entwickelnden Markt zu sein, wenn ich jetzt mit der Entwicklung einsteige, ist völliger Quatsch. Denn es tummeln sich schon allerhand Anwendungen im Marketplace, auch wenn sehr viel Müll darunter ist. Aber: das Potential der riesigen Entwickler-Community wirft seine Schatten voraus (und könnte den Karren vielleicht auch aus dem Dreck ziehen, mittelfristig).
Negativ: die Apps, die für mich wirklich relevant sind, nämlich Twitter und mit Abstrichen Facebook, sind zwar beide recht ansehnlich umgesetzt, in Usability und Geschwindigkeit aber einfach grausam. Twitter ist langsam, Facebook hakelig und ein leuchtendes Beispiel dafür, wie man den grafischen Ansatz mit den Hubs auch völlig versauen kann. Am besten hält man hier die Finger still, damit man nicht aus Versehen irgendwo hin navigiert, wo man gar nicht hin wollte.
Aber das wird schon noch.
Missing Features
Nun kann man polemisch behaupten, dass iPhone-Nutzer auch jahrelang ohne Copy&Paste auskommen mussten und es bis heute kein echtes Multitasking gibt. Das geht aber an der Realität vorbei. Diese sieht nämlich so aus: wir schreiben das Jahr 2010 und nicht 2007 oder 2008, und sowohl Copy&Paste als auch Multitasking gehören für ein modernes Betriebssystem einfach dazu.
Wie sehr diese beiden Funktionen fehlen, merkt man erst, wenn man sie am eigenen Leib vermisst. Mal eben ins Adressbuch wechseln um eine Adresse zu kopieren und sie in einer anderen App einzufügen, die währenddessen ihren Status im Hintergrund behält - ein ganz normales Feature. Dass das nicht geht, ist ein absolutes No-Go, tut mir leid.
Fazit
Der Marktstart ist zur Einführung des iPhone bei O2 und Vodafone sowie der Verzögerung bei T-Mobile ja mal sowas von in die Hose gegangen, dass auch keine Wortspielereien ("am 21.10. oder ab 21.10. lieferbar") mehr helfen. Wenn das irgendwie voraussehbar gewesen wäre, hätte Microsoft gut daran getan, den Start nach hinten zu schieben und das Ding fertig zu machen. Denn so ist es nichts weiter als recht stabile Beta-Software.
Gehörte ich zur Fanboy-Fraktion und hätte ich monatelang sehnlich darauf gewartet, ich müsste mich heute in den Schlaf weinen. So kann ich das HTC etwas vergrämt wieder in seine Kiste stecken und mir den Wecker auf meinem iPhone einstellen.
Und hoffen, dass ein Versuch in ein paar Monaten oder einem Jahr ein glücklicheres Ende nimmt. Denn eins ist sicher: ich hätte es wirklich, wirklich gerne als Alternative zum iPhone benutzt, welches ich inkl. der Politik von Apple eigentlich längst satt habe.
Aber so: no way.