Nachdem mein erster und letzter Versuch mit Windows Phone 7 vor einem guten Jahr eher kläglich verlaufen ist, und ich trotz anders lautender Gerüchte nicht zur Gruppe der stumpf jubelnden Microsoft-Fanboys gehöre, war das Betriebssystem für mich erst einmal erledigt.
Damals stand es noch in direkter Konkurrenz zu meinem iPhone 4, dass ich ein paar Monate danach aber reichlich entnervt wegen der Empfangsproblematik durch ein Samsung Nexus S mit Android 2.3 ausgetauscht habe. Damit bin ich bis heute extrem zufrieden - ich kann wieder telefonieren (oho!), es gibt eine sehr große Auswahl an auch qualitativ guten Apps und die Integration meiner inzwischen zwei Exchange-Konten funktioniert zuverlässig.
Nun stand im November ein neuer Vertrag an und meine Wahl fiel auf T-Mobile. Zu diesem Zeitpunkt war die offizielle Verlautbarung noch, dass diese das neue Samsung Galaxy Nexus nicht anbieten werden. Also blieben noch drei Möglichkeiten: ein Vertrag ohne Gerät, das iPhone 4S oder das Nokia Lumia 800.
Mein Wahl fiel auf das Lumia. Zum einen, weil es sich rein rechnerisch auf zwei Jahre gegenüber dem Vertrag ohne Hardware nicht lohnte, darauf zu verzichten, zum anderen weil ich keine Lust mehr auf das iPhone und den Lock-In von Apple habe. Darüber hinaus wird Windows Phone für die mobile Webentwicklung langsam so etwas wie Opera oder der (nicht jeweils aktuelle) Internet Explorer - eine Art ungeliebtes Stiefkind, dass man dennoch nicht ganz links liegen lassen und ignorieren kann. Deshalb war das Risiko nicht groß - sollte sich das Lumia als Flop entpuppen, würde ich es eben einfach als reines Test- und Entwicklungs-Gerät in den Schrank legen.
Das Lumia 800
Wer die Biografie von Steve Jobs gelesen hat, der weiß wie viel Energie Apple auf die kleinsten Details verwendet. Alles steht im Kontext des perfekten End-to-End-Erlebnisses für den Benutzer. Und wo fängt so ein Erlebnis an? Beim Auspacken!
Das verstehen nicht viele Menschen, aber wer schon einmal ein Apple-Produkt gekauft hat, der weiß, dass der erste Kontakt damit immer etwas Besonderes ist. Eine Pralinenschachtel ist in der Regel ein Scheiß gegen die Verpackungen von Apple (wer jetzt lächelt: das setzt sich in den Köpfen der Menschen fest und äußerst sich später wieder beim Wiederverkaufswert auf Ebay ...).
Auch bei Nokia hat das niemand kapiert. Das Gerät kommt mit einer hässlichen blauen Papp-Ummantelung und einem T-Mobile-Aufkleber, was alles sehr billig wirkt. Selbst der Karton des nur 100 Euro teuren Huawei Ideos X3, das ich neulich verschenkt habe, hat einen wertigeren Eindruck hinterlassen. Hier versagt Nokia also schon einmal völlig.
Was umso erstaunlicher ist, da die Verpackung in völligem Kontrast zum Gerät selbst steht. Über das Design ist ja schon viel geschrieben und gesagt worden - deshalb fasse ich mich kurz. Für mich ist es das momentan schönste Smartphone auf dem Markt. Sogar der mitgelieferte Bumber kann die Schönheit und Eleganz nicht gänzlich zerstören.
Negativ:
- Die vier Hardware-Knöpfe an der Seite (2 für die Lautstärke, einer zum Aus- und Anschalten, einer für die Kamera) klappern und wirken sehr billig.
- Den Micro-USB-Anschluss hat Nokia unter einer Klappe versteckt, die wie alles andere auch, aus Plastik besteht. Steve Jobs war immer dagegen, die Leute etwas öffnen zu lassen. Und er hat damit vollkommen recht - es ist nur eine Frage der Zeit, bis diese Klappe abbrechen wird.
- Die Rückseite des Telefons ist außerdem durch die leichte Gummierung extrem empfindlich für Fingerabdrücke und Schweiß. Womit es nach einigen Minuten Benutzung ziemlich keimig aussieht. Aber gut, diesen Fehler begeht Nokia nicht exklusiv.
- Es ist relativ schwer.
- Die Akkulaufzeit ist - nach dem aktuellen Update von dieser Woche - auf einer Skala von 0 bis 10, wo 10 den Bestwert darstellt, vielleicht bei einer 4.
- Die Empfangsqualität mit Vodafone ist nicht die Beste. Irgendwo zwischen dem Nexus S und dem iPhone 4, würde ich sagen.
- Die Kamera ist fast unbrauchbar, zumindest bei indirekter Beleuchtung. Ich habe zudem keine einzige Barcode-Scanner-App gefunden, die funktioniert hätte.
Trotzdem meine Kritik stark ist, finde ich es unter dem Strich durchaus gelungen. Das an sich sehr gute Design, vor allem die Einfassung des Displays, wiegen dei Schwachpunkte wieder auf. Zumindest so lange, bis mir die USB-Klappe abbricht ;-).
Windows Phone 7.5
Meine zweite Begegnung mit Windows Phone verläuft nun wesentlich entspannter als die erste. Vielleicht, weil meine Erwartungen nicht mehr so hoch sind und ich auch jederzeit zurück zum Nexus S kann, das in ein paar Wochen mit Android 4.0 laufen dürfte. Vielleicht aber auch, weil Windows Phone, nun, vielleicht noch nicht erwachsen, aber doch reifer geworden ist.
Positiv:
- Die Geschwindigkeit ist grundsätzlich sehr gut. Die Navigation durch die Menüs funktioniert sehr flüssig.
- Die Integration mit Office 365 und hier insbesondere Exchange ist hervorragend. Die Konten sind schnell eingerichtet und die Synchronisation funktioniert via Push tadellos.
- Die Kalender-App ist übersichtlich und funktioniert problemlos, auch wenn eine Wochenansicht fehlt.
- Die E-Mail-App schlägt alles, was ich von iOS und Android kenne, um Längen. Insbesondere das, was Android 2.3 hier bietet, kann sich nicht mit Outlook für WP7 vergleichen lassen. Postfächer lassen sich kombinieren und auch wirklich so nutzen, alle wesentlichen Funktionen innerhalb des Postfachs sind schnell und intuitiv zu erreichen und das Design ist extraklasse.
- Copy & Paste ist gut gelöst. Auch wenn ich zunächst noch die richtige "Antippgeschwindigkeit" herausfinden musste, um einen Text markieren zu können.
- Der Internet Explorer ist zwar noch lange nicht auf einem Level mit Webkit, aber die Ergebnisse sind inzwischen durchaus annehmbar. Kein Vergleich mehr zu diesem Krüppel in der ersten Version von WP7.
- Zune ist das bessere iTunes. Die Software läuft unter Windows 7 sehr geschmeidig, sieht dazu noch sehr gut aus und sie funktioniert fast fehlerfrei (für das Firmware-Update dieser Woche musste ich sie erst als Admin starten).
- Die Zune-App auf dem Phone ist ebenfalls sehr schick gestaltet.
Negativ:
- Der Market Place. Nun ja. Vieles ist, wie bei Android und iOS auch, einfach nur Müll. Nur filtern die beiden Konkurrenten die echten Perlen besser - was hier bei Microsoft in den Top-Listen steht, ist entweder unverschämt teuer und/oder trotzdem schlecht. Mich persönlich stört das noch gar nicht so, da ich kein App-Sammler bin und mir momentan nur eine Anwendung für Simfy abgeht, wofür aber Microsoft nichts kann.
- Die Kacheln auf dem Homescreen sind zu groß, um viele Anwendungen unterbringen zu können. Die rein alphabetische App-Liste jedoch wird sehr schnell sehr unübersichtlich. Hier fehlt einfach die Möglichkeit zu gruppieren, sei es über mehrere Screens oder etwa Ordner (beides bei Android und iOS Standard).
- Die Akku-Anzeige gibt es nicht in Prozent, es sei denn man wechselt mühsam in die Einstellungen und sieht dort nach. Das ist für die einen eine Kleinigkeit, aber wenn ich unterwegs bin, das Telefon brauche und der Akku je nach Nutzung bei einer Füllstandsanzeige von etwa einem Viertel noch 12, 4 oder nur eine Stunde durchhält, dann will ich das gerne sofort sehen und mich darauf einstellen können.
- Bing. Sorry, Microsoft. Aber ich möchte Bing nicht verwenden. Denn Bing ist einfach nur absoluter Schrott. Die Ergebnisse sind in Deutschland nicht zu gebrauchen. Also zwingt mich bitte nicht dazu und ermöglicht die Integration anderer Such-Provider. Danke.
- Es gibt keine zentrale Suche über alle Inhalte des Telefons hinweg, also Kontakte, E-Mails, Musik.
- Bing Maps ist nicht Google Maps. Wer einmal das Original verwendet und schätzen gelernt hat, wird etwas vermissen.
- Die eigentliche Telefon-App finde ich etwas unübersichtlich. Auch während eines Gesprächs ist es für mich nicht deutlich genug hervorgehoben, ob nun z.B. die Freisprech-Funktion aktiv ist, oder nicht.
- Einige Apps brauchen jedoch nach dem Start noch zu lange, auch nach einem Aufwecken, wenn man sie schon mal geöffnet hatte. Ein Effekt, den man von Android her kaum noch kennt.
- Trotz der großen Klasse hat auch Outlook ein Manko: sucht man beim Schreiben einer Mail nach einem Empfänger, wird nur in den Namen der Kontakte - nicht ihren E-Mail-Adressen gesucht. Eine unterirdische bis unbrauchbare Autovervollständigung hat aber auch in Outlook am Desktop schon eine sehr lange Tradition (das geht nur in der Mac-Version wirklich gut).
- Nokia liefert eine App mit, die nichts anderes macht, als zu sagen, dass man Daten über mich und mein Telefon sammelt. Da komme ich mir verarscht vor. Sorry - wenn ihr schon so tut, als würdet ihr offen und ehrlich sein, dann gebt gefälligst auch detailliert an, was alles getrackt wird.
Zwischenfazit
Mein Verhältnis zu Windows Phone 7.5 und dem Lumia bleibt etwas ambivalent.
Obwohl Windows Phone selbst noch kleine Macken und einfach hausgemachte Schwächen, wie etwa Bing und die mangelnde App-Vielfalt, besitzt, gibt es darunter für mich momentan keine KO-Argumente, die mich sofort wieder zum Nexus S greifen ließen. Und auch das Lumia ist trotz seiner offensichtlichen Konstruktionsfehler in Kombination mit der sehr stylischen Oberfläche von WP7 eine Augenweide.
Ich bin nach einer halben Woche noch unentschieden, was man ja auch als deutlichen Fortschritt werten könnte. Auf Twitter wurden am Mittwoch ja schon Wetten angenommen, ich würde es noch am selben Tag zurückschicken ;-).
Fest steht aber schon mal: nicht technik-affinen Menschen, die bisher ein normales Handy benutzen, würde ich es heute uneingeschränkt empfehlen. Sogar eher als ein Android-Gerät, weil das Design der Oberfläche viel übersichtlicher ist und die Funktionen für den Normalsterblichen mehr als ausreichend sind.